Tobias Sammelsurium der Woche #46/2024
Es dünkt auch Nicht-Sprachwissenschaftlern, dass unsere Sprache permanentem Wandel unterworfen ist. Denn wem dünkt schließlich heutzutage noch etwas? Von Aussteuer bis Zuber – das Wörterbuch, sorry duden.de, ist voll mit Wörtern, die ihre Relevanz verloren haben. Während heutzutage keiner mehr Droschke sagt, kannte meine Oma kein Smartphone. Soweit so normal.
Darüber hinaus gibt es Wörter, die aus der Nische ins Rampenlicht treten. Von seinem indogermanischen Stamm her war geil ein Adjektiv für »aufschäumend, heftig, übermütig, ausgelassen, lustig«. Ab dem 8. Jahrhundert wandelte sich die Bedeutung in Richtung »übermütig« und »überheblich« und ab dem 15. Jahrhundert wurde es als Synonym für Lüsternheit und sexuelle Begierde verwendet. Das ganze natürlich nur verschämt.
Seit dem späten 20. Jahrhundert kann alles ganz schambefreit geil sein. Ein geiler Abend muss keinen Sex beinhalten und der Poptitan a.D. Dieter Bohlen findet sowieso vieles megageil. Durch soviel Geilheit ist das Wort seit langem eher ungeil, aber noch lange nicht tot.
Ähnlich ergeht es gerade cool. Als jugendsprachlicher Anglizismus gestartet, war cool Ausdruck von Anerkennung und selbstbewusster Gelassenheit. In den 1990er Jahren war es wohl sogar das meistgenutzte Adjektiv des Jahrzehnts.
Seit unser Bundeskanzler Olaf Scholz jetzt über sich sagte, er sei cooler als sein Rivale Friedrich Merz, ergeht es cool so ähnlich wie geil. Scholz Aussage ist aus zwei Gründen völliger Blödsinn. Erstens würde niemand, der cool ist, auf die Idee kommen sich selbst als cool zu bezeichnen und zweitens habe ich selbst von glühenden Merz-Anhängern noch nie gehört, dass der Sauerland-Friedrich cool sei.
Sprache ist Wandel und damit ist das langsame Ausklingen der Cool-Phase jetzt wohl endgültig eingeleitet. Ich vermute, spätestens im Bundestagswahlkampf 2049 werden sich Kandidierende gegenseitig vorwerfen, ihre Konzepte seien safe cringe. Noch klingt das für unsere Ohren echt nicht geil. Aber mein Opa hat ja auch nie einen Bundeskanzler »cool« sagen hören. Karl Valentin hat's vorausgesagt: »Heute ist die gute alte Zeit von morgen.« Wir sollten sie also genießen.
Dir ein geiles Wochenende!
T.
Post der Woche
Fünf fürs Wochenende
Over
Der Fotograf Cássio Vasconcellos hat aus der Luft Schrottplätze, Flugzeugfriedhöfe, verlassene Gelände und andere Orte fotografiert, die unsere Verschwendung dokumentieren. Aus tausenden Einzelbildern hat er ein 12 Meter langes Gesamtwerk geschaffen – einen Überblick über vergangenen Exzess. Das Werk und die Hintergründe zeigt er in diesem kurzen Video. Auf seiner Website kann man sich einige Ausschnitte detaillierter ansehen.
» Worldwide Waste
Hugh Grant
Ich mag Filme mit Hugh Grant, gerade weil sie meistens nicht der deepste Shit sind, den man sich reinziehen kann. Den Fragebogen von Marcel Proust mag ich auch. Da kann man Deep-Shit-Antworten geben oder eben auch nicht. Und englischen Humor, den mag ich auch. Wenn jetzt also Hugh Grant den Proust-Fragebogen mit britischem Humor, Selbstironie und ein ganz bisschen deepem Shit ausfüllt, tja, dann bin ich allerbestens unterhalten. Du vielleicht auch.
» My wife has kindly agreed to sneak up behind me and shoot me in the back of the head.
Das geht unter die Haut
Früher, also damals in der guten alten Zeit *räusper*, waren nur Hafenarbeiter, Prostituierte und Gefängnisinsassen tätowiert. Heute ist das Zahlenverhältnis eher umgekehrt. Die Nicht-Tätowierten sind wohl mittlerweile in der Unterzahl. Unabhängig davon, ob man selbst auf Tattoos steht oder nicht, was Daniel Gulliver so auf die Haut bringt, ist extrem beeindruckend und sieht auch noch dreidimensional aus.
» Nix Träne unter dem Auge
Stunt City
Diese Empfehlung ist Werbung. Ich empfehle nicht das beworbene Produkt, aber ich empfehle den Werbeclip. Das Versprechen eines Deodorants ist simpel. Möglichst lange nicht nach Schweiß riechen. Was sich die Strategen von Rexona dazu schon vor fast 20 Jahren ausgedacht haben, ist anders wild – und lustig.
» Over the top protection – Under the arms
Mysteriös
Dieser Link ist etwas für Menschen, die knapp 20 Minuten Zeit haben, sich auf eine verrückte Geschichte einzulassen. Vordergründig hält Cabel Sasser, Gründer der Software- und Spielefirma Panic, einen Vortrag auf dem XOXO Festival. Worum es eigentlich geht, erschließt sich erst mit der Zeit. Jeder Hinweis wäre ein Spoiler, daher sage ich nichts. Es ist eine Schnitzeljagd, die sich lohnt.
» Schreib mir, wenn du das Video bis zum Schluss geguckt hast
Damals geschrieben
#46/2023: Der Wohnungsmangel. Die Hügelhäuser.
#46/2022: Die Menschheit. Die Mondidee.
Gedanke der Woche
»Altern ist ein besonderer Prozess, bei dem du der Mensch wirst, der du schon immer hättest sein sollen.«
David Bowie
Bild der Woche
Frage der Woche
Sollte Weihnachtsgebäck mit Suchtwarnungen versehen werden?