Tobias Sammelsurium der Woche #15/2025

Die deutsche Sprache ist eine interessante Sache. Dadurch, dass wir Einzelwörter beliebig verketten können, wer denkt nicht gerne an das aus 79 Buchstaben bestehende Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz zurück, können wir Begriffe erschaffen, die wenig verwendet werden, aber hochpräzise beschreiben worum es geht.

Über ein sehr viel kürzeres deutsches Wort, das ich zuvor noch nie gehört hatte, stolperte ich vor kurzem. Auch dieses Wort beschreibt exakt worum es geht. Das Wort lautet »Tages-Du«. Auf dem Golfplatz, las ich, duzt man sich. Aber im Gegensatz zu anderen Duz-Situationen wie beispielsweise am Tresen ist der Golfsport traditionell nicht ganz so egalitär.

Es könnte also sein, dass ein wichtiger und großer CEO, der sich sonst von nichts und niemandem (außer seiner Frau und seinem Hund) duzen lässt, auf der Runde seinen Mitspieler, einen popeligen Hauptabteilungsleiter, duzen müsste. Das wäre per se schon mal eine Schmach, die aber glücklicherweise zwischen den sanftgrünen Hügeln wohl kaum ein anderer Mensch mitbekommen würde.

Damit der popelige Hauptabteilungsleiter jetzt nicht auf die Idee kommt, den CEO demnächst auch im Meeting zu duzen, bietet der CEO einfach ein Tages-Du an. Das erlischt mit dem Ende der Golfrunde oder dem Sonnenuntergang – je nachdem was zuerst eintrifft.

Mit einer gewissen Neugier wurde in den letzten Tagen zur Kenntnis genommen, dass der zukünftige Bundeskanzler und sein künftiger Vize-Kanzler sich nun auch duzen. Der liebe Lars und der liebe Friedrich sind also da angekommen, wo sie viele nie wähnten, nämlich unter  Feinden Freunden.

Wer musste in diese öffentliche Verbrüderung der Koalitionspartner wieder Essig gießen? Klar, der Söder Markus. Er merkte an, eine Koalition sei keine Liebesheirat und es gelte die alte Dorf-Weisheit »Liebe vergeht, Hektar besteht«. Weil er so ist, wie er ist, duzt er wahrscheinlich auch weiterhin nur seine Frau und seinen Hund.

Vielleicht ist das Duzen von Merz und Klingbeil kein Ausdruck sympathievoller Zuneigung sondern des Willens zur engen Zusammenarbeit. Ein Koa-Du, sozusagen.

Ich persönlich kann der Aufmerksamkeit um Du oder Sie nicht viel abgewinnen. Ob jemand »Du Arschloch« oder »Sie Arschloch« zu mir sagt, ist mir einerlei. Am Besten ist es einfach, kein Arschloch zu sein. Dann wird man so im Regelfall auch nicht genannt.

Hinsichtlich der Anrede in diesem Newsletter stelle ich daher Folgendes fest: Ich duze auch weiterhin ungeniert. Da ich nicht allen Leserinnen und Lesern schon im echten Leben begegnet bin, biete ich hiermit global das Du an. Wem das nicht passt, der möge mein Du bitte als Newsletter-Du ansehen und mich beim ersten Treffen auf den Wunsch nach einem Sie hinweisen. Sagen Sie mir dann gerne, warum Sie nicht gerne geduzt werden.

Dir ein freundschaftliches Wochenende!
T.

Post der Woche

Fünf fürs Wochenende

Wie macht die Katze?

Ja, bei uns macht die Katze »miau«, aber wie klingen denn Katzen auf koreanisch oder portugiesisch? Bei diesen vierbeinigen Fellfreunden ist der Klang weltweit ziemlich ähnlich, bei anderen Tieren sieht das aber anders aus. Vivian Li hat sich die Arbeit gemacht, das ganze fonetisch zu sortieren und neben Infos für Phonetik-Freaks finden sich vor allem richtig viele Hörbeispiele in dem interaktiven Artikel. Nicht, dass man im nächsten Urlaub die lokalen Tiere falsch anspricht.
» Miau, meow, jaoŋ

We choose to go the moon

1962 gab John F. Kennedy in einer Rede an der Rice University das Ziel aus, dass im selben Jahrzehnt zum ersten Mal ein Mensch den Mond betreten sollte. Am 21. Juli 1969 war es dann soweit. Aus einer der inspirierendsten Reden der Nachkriegszeit wurde Realität. Die Bilder von damals sind unverändert ikonisch. 56 Jahre nach der ersten Mondlandung ist vor kurzem ein privates Unternehmen, Firefly Aerospace, auf dem Mond gelandet. Die Ansprache des Flight Directors ist erstaunlich unenthusiastisch vorgetragen, er hätte sich ein Vorbild an JFK nehmen sollen. Aber das hochauflösende Filmmaterial unseres Erdtrabanten ist irre gut.
» Because it is there

World Press Photo 2025

Die Pressefotos des Jahres sind gekürt und es lohnt sich die Gewinner jeder Weltregion anzusehen. Der Juryvorsitzende für Europa fasst die Faszination der Bilder treffend zusammen: »Die ausgezeichneten Bilder sind solche, die uns zum Innehalten oder zumindest zum Nachdenken anregen, anstatt einfach nur zum nächsten Bild weiterzuscrollen. Viele der Bilder gehen über den Moment hinaus, in dem sie aufgenommen wurden, und symbolisieren etwas, das die Jury für gesellschaftlich, politisch und historisch bedeutsam hält.« Stimmt.
» Mehr als tausend Worte

Uhu vor dem Bubu

Wer als Kind abends nach dem Baden in das Frottee-Handtuch mit Kapuze zum Abrubbeln gesteckt wurde und danach im Schlafanzug zu Abend essen durfte, kann sich wahrscheinlich vorstellen, wie sich diese in Handtücher eingewickelten Eulen fühlen. Kleiner Körper, riesige Augen und sehr viel Flausch. Cozy galore!
» Owls in Towels

Mobil tun als ob

Mit Hilfe dieser Website kann man mit seinem Handy so tun, als wäre man mit seinem Handy beschäftigt, obwohl man eigentlich gar nicht mit seinem Handy beschäftigt ist. Also irgendwie schon, denn man tappt, wischt, scrollt – doch da ist nichts. Ein simuliertes Nichts an einem Gerät, das man entweder aus der Hand legen oder richtig benutzen könnte. Das Ganze ist also irgendwie Kunst, oder ein Vor-Augen-führen unseres Suchtverhaltens, oder nutzlos, oder genial. Ach, entscheide doch selbst. Funktioniert natürlich nur am Handy.
» Handysüchtig? Niemals!

Damals geschrieben

#15/2024:  Der Versuch. Die Kunst.
#15/2023: Der Mann. Die Geräusche.

Gedanke der Woche

»Ich finde es befreiend, das eigene Leben nicht allzu persönlich zu nehmen.«
Benjamin von Stuckrad-Barre

Bild der Woche‌‌‌‌

Frage der Woche

Ist es schlau einer KI Fragen zu stellen, die man sich durch nachdenken selbst beantworten könnte?

Die geheime Durchhaltsache

Der Versuch 2025, statt eines großen Vorsatzes, eine kleine Sache jeden Tag zu machen. 

Diese Woche: 4/7 | Insgesamt: 62/100 | Stimmung 🙂

1 Wochenrückblick in 1 GIF‌‌‌‌‌‌

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